RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#1 von fwiesenberg , 26.03.2009 10:31

Der Thread zum Thema neue Kamerabelederungen (insbes. XD) hat mich veranlaßt, ein paar neue (?) Überlegungen niederzuschreiben:

Ich hatte kürzlich eine interessante Diskussion mit mehreren (u.a. Industrie-) Archäologen und Denkmalschützern. Diskussionsgegenstand war die im ersten Moment ketzerisch anmutende These, daß viele Eigentümer denkmalgeschützter Häuser diese unbewußt zerstören, da deren historischer Charakter "kaputtsaniert" wird.
Ebenso verhält es sich mit KFZ-Oldtimern: Hier wird bei Restaurationen im Regelfall der Auslieferungszustand angepeilt, wobei dieser durch andere Lackarten oder Oberflächenbehandlungen beispielsweise gar nicht erreicht werden kann. Oft werden solche Fahrzeuge dann "besser als neu" saniert, was einfach einer Geschichtsverzerrung gleichkommt.
Genauso verhält es sich beispielsweise bei Polstermöbelrestaurationen, wenn nicht Originalstoffe und -Polstermaterialien (die im Regelfalle längst nicht mehr verfügbar sind) verwendet werden.
Natürlich hat ein nach modernen Maßstäben "restauriertes" Stück (korrekter wäre: saniertes) wieder einen Gebrauchswert - aber keinen historischen mehr!

Einige Museen gehen so weit, daß sie den historischen Wert über die Gebrauchsfähigkeit stellen. In der Praxis sieht das so aus, daß ein Oldtimer seine "Patina" behält, Roststellen oder abplatzender Lack werden mit Wachs konserviert, so daß der momentane Zustand auf absehbare Zeit gewahrt bleibt. Defekte Anbauteile (wie Leuchten) werden nicht durch Neuteile oder gar ähnliche Neuteile ersetzt. Eine Fahrfähigkeit ist für museale Zwecke nicht notwendig, denn das Exponat soll na lediglich als Referenz dienen, wie der "richtige" Zustand (idealerweise der damalige Auslieferungszustand) war.

---

So weit möchte ich gar nicht gehen, denn eigentlich möchte ich auch mit den alten Kameras auch gerne fotografieren. Bei Reparaturen kann ich mich immerhin damit trösten, daß beispielsweise für Kameras der XD-serie und früher sowieso nur gebrauchte Ersatzteile zur Verfügung stehen. Neue Teile werden ja nicht gefertigt. Also handelt es sich sogar strenggenommen um zeitgenössischen Ersatz, der dem historischen Werterhalt nicht im Wege steht.

Aber diese Diskussion hat mich nachdenklich werden lassen, was eine über die gründliche Reinigung hinausgehende kosmetische Überarbeitung von technisch-historischem Kulturgut (und als solche betrachte ich inzwischen die Manualfokus-Kameras) angeht. Denn jede Gebrauchsspur, Beschädigung oder gar vor langer Zeit aus irgendwelchen Gründen vorgenommene Modifikation* ist ein Teil dieses Kulturguts.

Das ist der Grund, weshalb ich die schon parat gelegten fünf Kameras, für die ich neue Kleidchen schneidern wollte, wieder sorgsam zurück gepackt habe.

Jede dieser Kameras darf ihre Spuren tragen. Auch die XD dürfen ihre Mini-Kleidchen behalten! Genauso wie ich (inwischen) nie auf den Gedanken kommen würde, eine "Goldrand-Edition"-XM mit neuem Lack zu versehen!

Bei den XD und XG mit geschrumpfter Belederung gehört eben diese Alterserscheinung aus musealer Sicht zwingend zur Kamera. Ein Ersatz der geschrumpften Belederung durch ein (zwangsläufig) optisch und strukturell anderes Teil mag nett aussehen, zerstört also den historischen Wert der Kamera.

Aus kulturhistorischer Sicht kann man vor diesem Schritt also nur warnen...
(Natürlich schreibe ich hier Niemandem etwas vor, sondern möchte nur denjenigen, die sich mit immerhin knapp 30 Jahre alten Technik-Kleinoden beschäftigen einen Denkanstoß geben. Und es soll Niemand nachher sagen könne, er wäre nicht gewart gewesen... )







* Ich denke da insbesondere an ein eigentlich sehr unschön auf das Zeitenrad eines AE-Suchers der XM aufgelötetes Messingstück, was dem wohl weitsichtigen Vorbesitzer vermutlich sehr geholfen hat, durch Tasten die Stellung des Zeitenrades zu erkennen. Nach "normalen" Maßstäben müßte das Ding sofort runter - aber es erzäht eine Geschichte genau dieser Kamera. Und deswegen beibt es drauf!


Grüße aus dem Westen der Republik!
Frank.


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#2 von BerndFranzen , 26.03.2009 10:59

ZITAT(fwiesenberg @ 2009-03-26, 10:31) Einige Museen gehen so weit, daß sie den historischen Wert über die Gebrauchsfähigkeit stellen.[/quote] ... bis hin zur letzten Konsequenz der Unbrauchbarkeit.

ZITATDenn jede Gebrauchsspur[/quote] ... und damit der Gebrauch ...

ZITATBei den XD und XG mit geschrumpfter Belederung gehört eben diese Alterserscheinung aus musealer Sicht zwingend zur Kamera. [b]Ein Ersatz der geschrumpften Belederung durch ein (zwangsläufig) optisch und strukturell anderes Teil mag nett aussehen, zerstört also den historischen Wert der Kamera.
[/quote]Auch wenn die Belederung sich schon bis hin zur Unbrauchbarkeit von der Kamera gelöst hat?

ZITATIch denke da insbesondere an ein eigentlich sehr unschön auf das Zeitenrad eines AE-Suchers der XM aufgelötetes Messingstück, was dem wohl weitsichtigen Vorbesitzer vermutlich sehr geholfen hat, durch Tasten die Stellung des Zeitenrades zu erkennen. Nach "normalen" Maßstäben müßte das Ding sofort runter - aber es erzäht eine Geschichte genau dieser Kamera. Und deswegen beibt es drauf![/quote] Und was ist jetzt genau der Unterschied zu einer von angebrachten Belederung, damit die Kamera für mich gebrauchsfähig bleibt?

Oder was ist der den deutlichen grünen Belägen, die nur durch zu lange Lagerung ihren Weg an die Kamera gefunden haben? Wenn sie regelmäßig entfernt wurden ist das normaler Gebrauch aber wenn ich sie nach langer Lagerzeit entferne ist das Zerstörung von Kulturgut?

Ich finde Deine Überlegungen wichtig aber ich glaube, man wird keine sauberen Grenzen zwischen "Gebrauch" und "Zerstörung" ziehen können.


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#3 von fwiesenberg , 26.03.2009 11:17

ZITAT(BerndFranzen @ 2009-03-26, 10:59) ZITAT(fwiesenberg @ 2009-03-26, 10:31) Einige Museen gehen so weit, daß sie den historischen Wert über die Gebrauchsfähigkeit stellen.[/quote] ... bis hin zur letzten Konsequenz der Unbrauchbarkeit.
[/quote]
Richtig. Wenn beispielsweise ein Gebrauchszustand eines historischen Fahrzeugs nur mit neuzeitlichen Ersatzteilen herstellbar wäre, dann bleibt es halt so wie es ist.

ZITATZITATDenn jede Gebrauchsspur[/quote] ... und damit der Gebrauch ...[/quote]
... oder vormalige Gebrauch ...

ZITATZITATBei den XD und XG mit geschrumpfter Belederung gehört eben diese Alterserscheinung aus musealer Sicht zwingend zur Kamera. Ein Ersatz der geschrumpften Belederung durch ein (zwangsläufig) optisch und strukturell anderes Teil mag nett aussehen, zerstört also den historischen Wert der Kamera.[/quote]Auch wenn die Belederung sich schon bis hin zur Unbrauchbarkeit von der Kamera gelöst hat?[/quote]
Wie kann sich die Belederung bis zur Unbrauchbarkeit lösen? Ich habe ja einige XD, aber unbrauchbar durch geschrumpfte Belederung ist davon keine.

ZITATZITATIch denke da insbesondere an ein eigentlich sehr unschön auf das Zeitenrad eines AE-Suchers der XM aufgelötetes Messingstück, was dem wohl weitsichtigen Vorbesitzer vermutlich sehr geholfen hat, durch Tasten die Stellung des Zeitenrades zu erkennen. Nach "normalen" Maßstäben müßte das Ding sofort runter - aber es erzäht eine Geschichte genau dieser Kamera. Und deswegen beibt es drauf![/quote] Und was ist jetzt genau der Unterschied zu einer von angebrachten Belederung, damit die Kamera für mich gebrauchsfähig bleibt?[/quote]
Aus kulturhistorischer Sicht ist übrigens der Zeitpunkt der Modifikation noch wichtig, denn historische Umbauten sind wie angedeutet akzeptabel.

Das Anbringen einer Belederung wäre aus musealer Sicht nur dann eine zulässige Modifikation, wenn beispielsweise schon in den 80er Jahren eine XD-7 in "geschmackvoll-pink" umgeledert worden wäre. Sollte diese damals modifizierte Belederung nun geschrumpft und passender (pinker...) Ersatz verfügbar sein, so wäre ein Ersatz dieser Belederung heute kein Problem.

ZITATOder was ist der den deutlichen grünen Belägen, die nur durch zu lange Lagerung ihren Weg an die Kamera gefunden haben?[/quote]
Stichwort: Reinigung.

ZITATWenn sie regelmäßig entfernt wurden ist das normaler Gebrauch aber wenn ich sie nach langer Lagerzeit entferne ist das Zerstörung von Kulturgut?[/quote]
Hier würde ich dem Restaurator die Frage stellen, was gezeigt werden soll: Ein "normaler" Zustand nach Gebrauch oder ein Fundzustand nach langer Lagerung. Beides ist möglich.

ZITATIch finde Deine Überlegungen wichtig ...[/quote]
Danke, aber ich kann nicht für mich in Anspruch nehmen, die Urquelle dieser Überlegungen zu sein. Diese Sachen werden auch in Denkmalpflege- / Museumskreisen mitunter heiß diskutiert.

ZITAT... aber ich glaube, man wird keine sauberen Grenzen zwischen "Gebrauch" und "Zerstörung" ziehen können.[/quote]
Muß man ja auch nicht.
Ich gehe davon aus, daß die wenigsten von uns ihre Kameras mit dem Ziel des Aufbaus einer musealen Sammlung gekauft haben. Also ist der primäre Zweck wohl das Fotografieren mit diesen Kameras.

Aber diese Überlegungen sollen u.a. aufzeigen, daß es gute Gründe geben kann, optische Mängel (wie geschrumpfte Belederungen, um den Bogen wieder hinzubekommen) nicht nur zu dulden, sondern sie auch fast mit Stolz zu tragen.


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#4 von BerndFranzen , 26.03.2009 11:29

ZITAT(fwiesenberg @ 2009-03-26, 11:17) ZITATZITATBei den XD und XG mit geschrumpfter Belederung gehört eben diese Alterserscheinung aus musealer Sicht zwingend zur Kamera. Ein Ersatz der geschrumpften Belederung durch ein (zwangsläufig) optisch und strukturell anderes Teil mag nett aussehen, zerstört also den historischen Wert der Kamera.[/quote]Auch wenn die Belederung sich schon bis hin zur Unbrauchbarkeit von der Kamera gelöst hat?[/quote]
Wie kann sich die Belederung bis zur Unbrauchbarkeit lösen? Ich habe ja einige XD, aber unbrauchbar durch geschrumpfte Belederung ist davon keine.[/quote]
Kamera war gekauft als "Ersatzteilspender" und zum Üben einer Reparatur, da der Vorbesitzer die Mängel schon beschrieben hatte und der Preis für diesen Zustand auch in Ordnung war.
Die Belederung hatte sich an einen Stellen schon vom Gehäuse gelöst und dabei eine klebrige Schicht zurückgelassen so dass man die Kamera nicht anfassen konnte ohne sich klebrige Finger zu holen.

Und nur diese Kamera soll neu beledert werden. (Aber das hat jetzt mit Deinen Gedanken nix zu tun).


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#5 von fwiesenberg , 26.03.2009 11:46

ZITAT(BerndFranzen @ 2009-03-26, 11:29) ZITAT(fwiesenberg @ 2009-03-26, 11:17) ZITATZITATBei den XD und XG mit geschrumpfter Belederung gehört eben diese Alterserscheinung aus musealer Sicht zwingend zur Kamera. Ein Ersatz der geschrumpften Belederung durch ein (zwangsläufig) optisch und strukturell anderes Teil mag nett aussehen, zerstört also den historischen Wert der Kamera.[/quote]Auch wenn die Belederung sich schon bis hin zur Unbrauchbarkeit von der Kamera gelöst hat?[/quote]
Wie kann sich die Belederung bis zur Unbrauchbarkeit lösen? Ich habe ja einige XD, aber unbrauchbar durch geschrumpfte Belederung ist davon keine.[/quote]
Kamera war gekauft als "Ersatzteilspender" und zum Üben einer Reparatur, da der Vorbesitzer die Mängel schon beschrieben hatte und der Preis für diesen Zustand auch in Ordnung war.
Die Belederung hatte sich an einen Stellen schon vom Gehäuse gelöst und dabei eine klebrige Schicht zurückgelassen so dass man die Kamera nicht anfassen konnte ohne sich klebrige Finger zu holen.[/quote]
Von diesem Stadium sind meine "Patienten" noch weit weg.

ZITATUnd nur diese Kamera soll neu beledert werden. (Aber das hat jetzt mit Deinen Gedanken nix zu tun).[/quote]
Das Beledern bleibt Dir natürlich unbenommen.
Ich hoffe (eigentlich gehe ich sorgar davon aus), daß Du diese Diskussion nicht persönlich genommen hast. Meine Gedanken sind nicht als Angriff gedacht, sondern als Denkanstoß.

Und daß eine neubelederte Kamera besser aussieht als vor ihrer "Frischzellenkur" kann auch ich beim besten Wissen nicht verneinen. ardon:


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#6 von stevemark , 26.03.2009 12:48

ZITAT(fwiesenberg @ 2009-03-26, 11:17) ZITATZITATIch denke da insbesondere an ein eigentlich sehr unschön auf das Zeitenrad eines AE-Suchers der XM aufgelötetes Messingstück, was dem wohl weitsichtigen Vorbesitzer vermutlich sehr geholfen hat, durch Tasten die Stellung des Zeitenrades zu erkennen. Nach "normalen" Maßstäben müßte das Ding sofort runter - aber es erzäht eine Geschichte genau dieser Kamera. Und deswegen beibt es drauf![/quote] Und was ist jetzt genau der Unterschied zu einer von angebrachten Belederung, damit die Kamera für mich gebrauchsfähig bleibt?[/quote]
Aus kulturhistorischer Sicht ist übrigens der Zeitpunkt der Modifikation noch wichtig, denn historische Umbauten sind wie angedeutet akzeptabel.
...
[/quote]

@BerndFranzen: Nach dieser Argumentation ist eine heute angebrachte (inakzeptable) neue Belederung in zwanzig Jahren historisch; sie wird dannzumal somit definitiv akzeptabel sein

Man muss also einfach warten; dann wird das Inakzeptable langsam akzeptabel... Ich freue mich immer wieder über die logischen Verrenkungen gewisser Berufsgattungen

Nein, im Ernst: es ist natürlich so, dass nichts wirklich beständig ist - selbst die Apollo-Mondanzüge sind am Zerbröseln, weil ihnen der Weichmacher ausgeht. Und in 10'000 Jahren wird man natürlich die "Mondfahrt" als Legende abtun, da nicht einmal die Spur eines "richtigen" Beweises überlebt hat

Es fragt sich nun, ob man dem originalen Materiehaufen (der zwangsläufig zerfällt), oder aber der originalen Funktion (die sich rekonstruieren lässt) mehr Gewicht einräumt. Da ich nicht Materialist bin, halte ich persönlich die Funktion für wesentlich wichtiger - aber andere (Stichwort Museumskonservatoren) mögen das anders sehen. Um ein Bild von den Lebensumständen der Oberschicht von 1905 zu geben, halt ich einen "neuwertig" renovierten/rekonstruierten Oldtimer für besser geeignet als einen durch die Zeit gezeichneten Rosthaufen

Gr Steve


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#7 von hans_schneider , 26.03.2009 12:54

QUOTE (fwiesenberg @ 2009-03-26, 10:31) Ebenso verhält es sich mit KFZ-Oldtimern: Hier wird bei Restaurationen im Regelfall der Auslieferungszustand angepeilt, wobei dieser durch andere Lackarten oder Oberflächenbehandlungen beispielsweise gar nicht erreicht werden kann. Oft werden solche Fahrzeuge dann "besser als neu" saniert, was einfach einer Geschichtsverzerrung gleichkommt.
(...)
Natürlich hat ein nach modernen Maßstäben "restauriertes" Stück (korrekter wäre: saniertes) wieder einen Gebrauchswert - aber keinen historischen mehr!

Einige Museen gehen so weit, daß sie den historischen Wert über die Gebrauchsfähigkeit stellen. In der Praxis sieht das so aus, daß ein Oldtimer seine "Patina" behält, Roststellen oder abplatzender Lack werden mit Wachs konserviert, so daß der momentane Zustand auf absehbare Zeit gewahrt bleibt. Defekte Anbauteile (wie Leuchten) werden nicht durch Neuteile oder gar ähnliche Neuteile ersetzt. Eine Fahrfähigkeit ist für museale Zwecke nicht notwendig, denn das Exponat soll na lediglich als Referenz dienen, wie der "richtige" Zustand (idealerweise der damalige Auslieferungszustand) war.[/quote]


Frank,

ich fürchte, die Herrschaften, mit denen Du diskutiert hast, sind alle etwas auf die Seite der "Theoretiker" (auch wenn es Museumspraktiker sein sollten) zu rechnen.

Bleiben wir beim Altauto. Es ist tatsächlich so, daß die Haltung "historischer Wert über Gebrauchswert" existiert und auch angewandt wird. Aber was sind das für Museen, die nicht wenigstens einen Teil ihres Bestandes fahren lassen wollen?
Die Sache ist recht kompliziert, wir können hier nur an der Oberfläche kratzen (paßt doch zum Oldtimer-Lack). Was wäre denn der "historische Wert"? Sich auf einen solchen zu berufen, kann positiv sein, kann einen aber auch völlig in die falsche Richtung rennen lassen. Nehmen wir einen Oldtimer. Chassis und Karosserie waren zwei verschiedene Dinge. Viele Autoherstellter lieferten nur das Chassis, bei anderen konnte man sich auch eine Karosserie aussuchen. Die Hersteller hatten zwar ihre Vorstellungen, aber der Kunde konnte machen, was er wollte, also ein völlig unpassendes Chassis machen lassen, oder Änderungen anbringen, die dem Hersteller nicht gefielen. Und wenn der Kunde beim Zeitpunkt der Auslieferung Änderungen anbringen konnte, dann konnte er das auch noch später tun. Wo wäre dann der Zeitpunkt, der den "historischen Wert" bestimmt, anzusetzen?

Weiter: Ein Auto, so wie es gealtert ist, ins Museum zu stellen, ist schön und gut. Zu behaupten, es hätte einen größeren historischen Wert als eines, das z. B. mit einer neuen Bremsanlage ausgerüstet wurde, dafür aber fahren kann, geht an der Sache vorbei. Fahren ist die ureigenste Bestimmung des Autos, auch des alten.

Und hier liegt der Hund begraben. Egal, ob es um die Restauration von Autos, Kameras oder Ölgemälden geht: Es gibt keine Klingel, die anschlägt, sobald man die Originalsubstanz erreicht hat.

Im Prinzip läuft es auf die Streitaxt von Karl dem Großen hinaus: Die ist original, der Griff wurde dreimal, und die Klinge fünfmal erneuert.

Ob eine Kamera mit Patina und fehlendem Rückdeckel, mit der ich keine Bilder machen kann, einen größeren historischen Wert hat als eine, bei welcher ein vielleicht unpassender Deckel drangemacht wurde, bezweifle ich wie gesagt.

Abschließend zur Belederung: Was wäre, wenn der Erstbesitzer drei Tage nach dem Kauf die Originalverkleidung abgemacht hätte und das ganze mit rosa Wildschweinleder verziert hätte? Wäre meinem Verständnis nach ja historisch, denn es zeigte, wie der Geschmack damals gewesen wäre.

Fazit: Die Firnis von Ölbidern altert und wird braun. Beim Restaurieren merkt man, daß man die nicht einfach abmachen kann, denn sie ist in die Farbe eingedrungen. Kein Klingelzeichen möglich also. Bei Kameras dito. Die Historie eines Stückes endet nicht 1962 oder 1978 oder 2009. Wenn ich heute ein Häkeldeckchen drumrum mache, gehört das auch zur Geschichte.

Letztlich läuft alles auf die Frage hinaus, was ist mir mehr wert, saubere Funktion (auch mit neuen Bremsen), "gelecktes Aussehen", der Schmand aller Zeiten, oder was immer. Mit einem abstrakten historischen Wert kommt man da nicht weit, es wird immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden müssen.

Schönen Gruß

Hans


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#8 von BerndFranzen , 26.03.2009 12:57

ZITAT(stevemark @ 2009-03-26, 12:48) Es fragt sich nun, ob man dem originalen Materiehaufen (der zwangsläufig zerfällt),[/quote]Auch die Original-Eigenschaften dieses "Materiehaufens" können wichtig sein. Ins Extreme überspitzt: Wenn alle die Belederung ihrer Schätzchen ersetzen, dann ist die Tatsache, dass die Original-belederung Mängel hatte nicht mehr vorhanden.

ZITAToder aber der originalen Funktion (die sich rekonstruieren lässt) mehr Gewicht einräumt.[/quote]Auch das Erhalten der Original-Funktionen ist wichtig, schließlich ist das Fotografieren mit diesen Apparaten in der heiteigen Zeit schon eine Tat, die um ihrer selbst willen erhalten gehört.

ZITATUm ein Bild von den Lebensumständen der Oberschicht von 1905 zu geben, halt ich einen "neuwertig" renovierten/rekonstruierten Oldtimer für besser geeignet als einen durch die Zeit gezeichneten Rosthaufen [/quote]Um ein Bild der damaligen Produktionsverfahren zu erhalten ist aber auch der Erhalt möglichst kompletter "Originale" wichtig.

Fazit für mich: Beide Ansichten haben ihrere Berechtigung und es wäre schön, wenn sowohl die Dinge materiell als auch in ihrer Bedeutung und Funktion erhalten bleiben könnten, jedes erhaltene Stück muss aber nicht immer alle dieser Eigenschaften gleichzeitig aufweisen.


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#9 von J.L. , 26.03.2009 13:06

sollte man eine solche "Technisches-Kulturgut-Kamera" wirklich noch nutzen wollen, ist zu bedenken, daß diese hier auch nur mit zeitgenössischen Filmen bestückt werden sollten. Und zwar nur mit Filmen, die auch schon vor 30 Jahren gegossen worden (und entsprechend längst abgelaufen) sind - und nicht mit solchen, die heute noch mit unveränderter Emulsion produziert werden, abeer definitiv neueren Datums als die Kamera selbst ist. Alles andere würde den historischen Gebrauchswert der Kamera zerstören.

Gruß,
Jochen


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#10 von fwiesenberg , 26.03.2009 13:24

ZITAT(hans_schneider @ 2009-03-26, 12:54) Frank,

ich fürchte, die Herrschaften, mit denen Du diskutiert hast, sind alle etwas auf die Seite der "Theoretiker" (auch wenn es Museumspraktiker sein sollten) zu rechnen.[/quote]
Oh, durchaus nicht!
Übrigens wurd diese Diskussion vor ein paar Monaten auch in einer führenden deutschen Oldtimerzeitschrift aufgenommen. Deren Zielgruppe sind sicherlich nicht Theoretiker. ardon:

ZITATBleiben wir beim Altauto. Es ist tatsächlich so, daß die Haltung "historischer Wert über Gebrauchswert" existiert und auch angewandt wird. Aber was sind das für Museen, die nicht wenigstens einen Teil ihres Bestandes fahren lassen wollen?[/quote]
De facto lassen kaum KFZ-Museen ihren Bestand auf die Straße. Anders sieht es bei Sammlungen bedeutender (deutscher) Hersteller aus. Hintergrund, daß viele Auto-Museen ihre Exponate zum Standzeug degradieren sind neben finanziellen Gründen (Versicherungen, Aufwand für technische Instandsetzung und -Haltung, Personal etc.) auch die Überlegung, daß bei einem immerhin möglichen Unfallschaden Unwiederbringliches vernichtet werden könnte.

ZITATNehmen wir einen Oldtimer. Chassis und Karosserie waren zwei verschiedene Dinge. Viele Autoherstellter lieferten nur das Chassis, bei anderen konnte man sich auch eine Karosserie aussuchen. Die Hersteller hatten zwar ihre Vorstellungen, aber der Kunde konnte machen, was er wollte, also ein völlig unpassendes Chassis machen lassen, oder Änderungen anbringen, die dem Hersteller nicht gefielen. Und wenn der Kunde beim Zeitpunkt der Auslieferung Änderungen anbringen konnte, dann konnte er das auch noch später tun. Wo wäre dann der Zeitpunkt, der den "historischen Wert" bestimmt, anzusetzen?[/quote]
Bei Fahrzeugen ist die Definition uneinheitlich. Den meisten Positionen ist gemein, daß zum Bauzeitraum eines Fahrzeugs erfolgte Änderungen als historisch akzeptiert werden. Weitere Positionen vertreten Jahresgrenzen (25, 30, 50... Jahre), andere machen es von der individuellen Historie eines Fahrzeugs abhängig. Wenn beispielsweise ein alter Bundeswehr-LKW in Zweitverwendung vor Jahren zum THW kam, dort komplett umgerüstet wurde - und dies auch entsprechend lange her ist, so wäre das auch ein historisch wertvolles Fahrzeug; allerdings dann für die letztere Epoche (THW), da das Fahrzeug zu seiner Erstverwendung kaum noch etwas aussagen kann.
Oder beispielsweise ein alter VW Bulli aus den 60er Jahren, der nach seinem Transporterleben in den 70ern zum Wohnmobil umgebaut wurde, kann als historisch wertvoll für die 70er Jahre angesehen werden.

ZITATWeiter: Ein Auto, so wie es gealtert ist, ins Museum zu stellen, ist schön und gut. Zu behaupten, es hätte einen größeren historischen Wert als eines, das z. B. mit einer neuen Bremsanlage ausgerüstet wurde, dafür aber fahren kann, geht an der Sache vorbei. Fahren ist die ureigenste Bestimmung des Autos, auch des alten.[/quote]
Der Knackpunkt liegt im Detail: Wird die Bremsanlage authentisch instandgesetzt, so bleibt der historische Wert erhalten. Wird aber im Hinblick auf die sicherlich erhöhte Verkehrssicherheit von Einkreis- auf eine Zweikreisbremsanlage (womöglich noch mit Bremskraftverstärker) umgerüstet, so ist der historische Wert dahin, da man an diesen Fahrzeug eben nicht mehr den ursprünglichen Zustand (also Auslieferungszustand mit zeitgenössischen Änderungen) nachverfolgen kann.

ZITATIm Prinzip läuft es auf die Streitaxt von Karl dem Großen hinaus: Die ist original, der Griff wurde dreimal, und die Klinge fünfmal erneuert.[/quote]
Dann ist allerdings nur noch die "Idee" der Streiaxt original, der Rest höchstens originell.

ZITATOb eine Kamera mit Patina und fehlendem Rückdeckel, mit der ich keine Bilder machen kann, einen größeren historischen Wert hat als eine, bei welcher ein vielleicht unpassender Deckel drangemacht wurde, bezweifle ich wie gesagt.[/quote]
Für den historischen Wert ist die Funktion fast irrelevant. Wichtig ist vor allem die Originalität der Komponenten.
Und damit bei der unpassend komplettierten Kamera nicht der Eindruck entstehen kann, daß der unpassende Rückdeckel ein Originalteil wäre, würde man ihn in einer musealen Sammlung sicherlich nicht dranmachen. Das Problem ist nämlich die Aussage, die dieser falsche Deckel den nicht informierten Beobachter machen würde: Ich gehöre hier dran. Und das stimmt ja nunmal nicht.

ZITATAbschließend zur Belederung: Was wäre, wenn der Erstbesitzer drei Tage nach dem Kauf die Originalverkleidung abgemacht hätte und das ganze mit rosa Wildschweinleder verziert hätte? Wäre meinem Verständnis nach ja historisch, denn es zeigte, wie der Geschmack damals gewesen wäre.[/quote]
Das wird i.a. als historische Mofdifikation akzeptiert (siehe meinen obigen Beitrag).

ZITATDie Historie eines Stückes endet nicht 1962 oder 1978 oder 2009. Wenn ich heute ein Häkeldeckchen drumrum mache, gehört das auch zur Geschichte.[/quote]
Geschichte ist immer eine Momentaufnahme. Das Ensemble mit Häkeldecke wäre vielleicht irgendwann mal historisch wertvoll ... fürs Jahr 2009 (oder wann auch immer Häkeldecken modern waren... ).

ZITATLetztlich läuft alles auf die Frage hinaus, was ist mir mehr wert, saubere Funktion (auch mit neuen Bremsen), "gelecktes Aussehen", der Schmand aller Zeiten, oder was immer. Mit einem abstrakten historischen Wert kommt man da nicht weit, es wird immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden müssen.[/quote]
Wie schon zuvor geschrieben: Die meisten von uns sind ja kein Museum. Also müssen unsere Kameras nicht zwingend musealen / historischen Standards entsprechen.


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#11 von fwiesenberg , 26.03.2009 13:32

ZITAT(BerndFranzen @ 2009-03-26, 12:57) ZITAT(stevemark @ 2009-03-26, 12:48) Es fragt sich nun, ob man dem originalen Materiehaufen (der zwangsläufig zerfällt),[/quote]Auch die Original-Eigenschaften dieses "Materiehaufens" können wichtig sein. Ins Extreme überspitzt: Wenn alle die Belederung ihrer Schätzchen ersetzen, dann ist die Tatsache, dass die Original-belederung Mängel hatte nicht mehr vorhanden.[/quote]
Genau das ist der Punkt!
Würde jeder seine "geschrumpfte" XD neu beledern (lassen), so käme es zu im Extremfall (sehr überspitzt und vermutlich nicht überlebenswichtig) zu folgendem:

- Niemand wüßte, daß die Original-Belederung schrumpfte
- Niemand wüßte, wie die Original-Belederung aussah und welche Struktur sie hatte
- Niemand wüßte, woraus die Original-Belederung besteht
- Niemand wüßte, womit die Original-Belederung verklebt war
- Niemand wüßte, ob und wie die Original-Belederung geprägt war

Denn diese Fragen lassen sich im Zweifelsfalle nur mit Originalmaterial (also XD mit geschrumpfter Belederung) klären.
Ein oder zwei Punkte davon können sich durch schriftliche oder bildliche Überlieferung zwar klären lassen, aber längst nicht alle.

ZITATFazit für mich: Beide Ansichten haben ihrere Berechtigung und es wäre schön, wenn sowohl die Dinge materiell als auch in ihrer Bedeutung und Funktion erhalten bleiben könnten, jedes erhaltene Stück muss aber nicht immer alle dieser Eigenschaften gleichzeitig aufweisen.[/quote]
Deshalb leiste ich mir den Luxus einer Zweitkamera ... oder so ...


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#12 von Mark , 26.03.2009 13:49

Ich tue mich der gesamten Art dieser Betrachtung etwas schwer. Ich betrachte mich nicht als Kurator oder Konservator, meine Kameras dienen einem Zweck. In den weit überwiegenden Fällen ist eine Kamera nur eines, ein (sehr schönes und faszinierendes) Werkzeug.
Nur weil ich einen Hammer meines Vaters aus den Siebzigern nutze, heißt das nicht das ich den Stiel nicht durch einen Neuen ersetze weil der damals nicht so angebaut war. Ohne Stiel funktioniert der Hammer nicht.

Wenn ein Museum das macht, hat das fur mich nichts mit dem zu tun was ich mit meinen Kameras anstelle. Ich beledere meine Kameras neu, weil dies den Wert in meinen persönlichen (völlig subjektiv beurteilenden) Augen erhöht und ausserdem den Gebrauchswert steigert. Dasselbe gilt für Reparaturen, da verwende ich das was für mich zum optimalen Ergebnis führt. Es muss also nicht die 20 Jahre alte Mattschiebe sein wenn eine Beattie Scheibe deutlich besser ist.

Jetzt nicht speziell auf Kameras bezogen, ist das aber ein echtes deutsches Phänomen. Die Deutschen konservieren sich selbst. Wir bauen nichts Neues mehr, wir bauen den alten Kram wieder auf und der muss nicht einmal so aussehen wie er mal aufgebaut wurde, sondern so wie der Zeichner es sich in seinen Bauplänen vorgestellt hat. Beispiele gibt es ja genug, angefangen bei der Frauenkirche, über die Pläne zum Berliner Schloss und Parkanlagen die nach Vorbildern aus dem 17. Jahrhundert nachgebaut werden und wofür existierende Bausubstanz zerstört wird.
Ausländer kommen nach Deutschland weil wir hier etwas Modernes, Neues, iInnovatives gebaut haben, die kommen wegen Schloß Neuschwanstein, der Burgen am Rhein und dem ganzen alten Krempel der bei uns rumsteht (und den wir im Originalzustand erhalten, koste es was es wolle).
Als krasses Gegenbeispiel, der weit überwiegende Teil der Neubausubstanz in Tokio hat nur eine Baugenehmigung mit einem "Standrecht" von 30 Jahren. Kaum jemand dort könnte diese Idee, eine Kamera nicht neu zu beledern weil das Material eben nicht original ist, nachvollziehen. Alte analoge Kameras benutzen ist da noch ok, gerade für Kunstzwecke, aber diese dann nicht auf den bestmöglichen Stand zu heben?
In meinen Augen ist "den Deutschen" die Fähigkeit abhanden gekommen die Geschichte in die Zukunft zu bewegen…

Ich frage mich ob mit derlei Verhalten nicht die menschliche Natur negiert wird. Wären wir wirklich so weit gekommen wenn wir uns irgendwann nur noch darauf konzentriert hätten Altes so zu erhalten und zu restaurieren wie es wirklich zum Zeitpunkt des Baus existiert hat? Mir wird immer wieder gepredigt dass wer stehen bleibt sich rückwärts bewegt.
Ich habe gerade erst wieder gelernt das sich der Standort der Varusschlacht so schlecht finden lässt, weil sich in den letzten 2,000 Jahren niemand gefunden hat der jährliche Festspiele aufleben lies oder mehrere große Denkmäler errichtet hat oder ein "nationales Monument der Deutschen" dort errichtet hat.
Nein, die Germanen haben alles weggeschleppt was sie nutzen konnten und haben den Platz einen Platz sein lassen.

Nicht falsch verstehen, ich benutze meine analogen MF Kameras sehr gern, aber deswegen wird aus meinem Fotoregal nicht das "German Museum of Photography", so wichtig nehme ich weder mich noch meine "Exponate".

Mark


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Kurt Neff


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#13 von anna_log , 26.03.2009 13:50

ZITAT(hans_schneider @ 2009-03-26, 12:54) [...]

Letztlich läuft alles auf die Frage hinaus, was ist mir mehr wert, saubere Funktion (auch mit neuen Bremsen), "gelecktes Aussehen", der Schmand aller Zeiten, oder was immer. Mit einem abstrakten historischen Wert kommt man da nicht weit, es wird immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden müssen.

Schönen Gruß

Hans[/quote]

Der Einzelfall und dessen Prfüng ist eher vom Besitzer abhängig und seinen Vorlieben. In Sachen Auto: Finanziellen Einsatz vorausgesetzt sind Vollrestaurationen mit Orignal-Teilen möglich. Dann sieht das Auto aus wie neu kann an einen Concours d' Elegance teilnehmen. Genügend Enthusiasten haben sich, selbst wenn die Grundsubstanz solide war, dieser Art der Restaurierung verschworen, mit den Ziel ein neuwertiges Auto hinzustellen. Meiner Meinung nach wirken diese Autos steril und ohne Leben. Zum Glück finden sich Oldtimer-Besitzer, die Patina mögen. Und ein bisschen Patina kann m. E. nicht schaden. Das ist meine subjektive Auffassung, was ich unter Restauration verstehe.


Gruß
Matthias

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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#14 von hans_schneider , 26.03.2009 15:09

QUOTE (fwiesenberg @ 2009-03-26, 13:24) Wichtig ist vor allem die Originalität der Komponenten.
Und damit bei der unpassend komplettierten Kamera nicht der Eindruck entstehen kann, daß der unpassende Rückdeckel ein Originalteil wäre, würde man ihn in einer musealen Sammlung sicherlich nicht dranmachen. Das Problem ist nämlich die Aussage, die dieser falsche Deckel den nicht informierten Beobachter machen würde: Ich gehöre hier dran. Und das stimmt ja nunmal nicht.[/quote]

Mit den uninformierten Beobachetern wird es völlig unübersichtlich (nicht, daß das Thema übersichtlich zu machen wäre). Die Diskussion um den Beobachter und seine Rolle wurde übrigens auch schon um 1900 geführt. Damals war ein gern genommenes Beispiel: Was erkennt ein Japaner (der "Japaner" von 1900 wurde als europäischem Kulturgut gegenüber absolut ahnungslos gedacht! in einem Madonnenportrait? Standardantwort war, halt eine nette junge Frau mit einem etwas dicklichen Kind...

Extrem gesprochen, hätten wir es bei unseren Betrachtern mit solchen zu tun, die direkt erkennen, daß der Rückdeckel nicht original ist, und mit solchen, die das ausgestellte Stück für eine Mausefalle mit gläserner Einblicköffnung halten. Aber lassen wir die Beobachter einfach beiseite. In den Museen werden die Besucher ja auch gerne als Störfaktoren angesehen.


QUOTE Wie schon zuvor geschrieben: Die meisten von uns sind ja kein Museum. Also müssen unsere Kameras nicht zwingend musealen / historischen Standards entsprechen.[/quote]

An die musealen Standards glaube ich gerne. Das sind nämlich Absprachen und zeitgebunden. Die historischen Standards halte ich für ebenso den Zeitläuften unterworfen. Da das auch nicht neu ist, gibt es übrigens einen m. E. guten Ansatz: Alle Veränderungen am Kulturgut (insofern es zu einer Sammlung gehört und unter den historischen Anspruch fällt) müssen wieder rückgängig gemacht werden können.

Die Häkelverkleidung ist also erlaubt, wenn das Schrumpfleder darunter bei Bedarf wieder zum Vorschein gebracht werden kann.

Ansonsten möge gelten: Den nichtfunktionierenden Schrott ebenso wie die überrestaurierte Fast-Neuware in die Museen, der Rest mit Schrumpfbezug oder neuem rosa Pfauenzungenleder für die Massen, nämlich uns.

Schönen Gruß

Hans


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RE: Behandlung von technischem Kulturgut

#15 von hans_schneider , 26.03.2009 15:15

QUOTE (anna_log @ 2009-03-26, 13:50) In Sachen Auto: Finanziellen Einsatz vorausgesetzt sind Vollrestaurationen mit Orignal-Teilen möglich.[/quote]

Man muß kein einziges Originalteil haben, keine einzige Originalzeichnung, und von dem zu "restaurierenden" Fahrzeug muß nichts, aber auch wirklich nichts vorhanden sein und trotzdem kann man alles wunderbar "restaurieren" (böse Zungen würden sagen, fälschen). Audi macht es gerade vor, die bauen sich ihre Vergangenheit gerade nach ein, zwei Fotos zusammen. Aber das ist ein anderes Thema und ich höre auch schon wieder auf damit.

Kommt mir ein bischen vor wie mit dem Touristen im ägyptischen "Antiquitäten-"laden. "Was ist das?" "Das ist der Originalschädel von Kleopatra!" "Und der kleine Schädel nebendran?" "Das ist der Originalschädel von Kleopatra als Kind".

Schönen Gruß

Hans


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