RE: Wieviel Automatik braucht der Mensch?

#1 von Frank , 26.08.2002 13:33

Wieviel Automatik braucht der Mensch?

Urlaubszeit - und sie tauchen auf, selbsternannte Fotoprofis. Sie wimmeln in Scharen aus Reisebussen an von der Reiseleitung als Sehenswürdigkeiten bezeichneten Orten. Vor den Bäuchen baumeln Edelknipsen neuesten Modells im schicken silbrigen Plastik-Look. Aufgeflanscht das für garantiert alle Zwecke geeignete Megazoom mit der Lichtstärke einer Schweißerbrille. Zusammen mit dem 5er Pack 200er Filme gab's das im Super-Store für'n Appel und 'n Ei. "Meine hat neun Programme und das Zoom kann bis 300!" - "Na ja, meine hat nur fünf Programme und der Zoohm geht bis 200, aber das reicht allemal! Hönnse ma, bei uns hat jetz n Fotoladen aufgemacht, da kriegn'se den Abzug für 15 Cent - zehn mal fuffzehn..."

Möglichst viele Programme, hohe Brennweitenzahlen und, bei den Digitalen, hohe Pixelzahlen - all das ist sicher sehr werbewirksam; es lockt. Es lockt den ahnungslosen Interessenten und suggeriert ihm: Hier bekommst du was für dein Geld; mit diesem Ding, da kannst du was vorweisen! Nun, solange unser Kunde zufrieden und der Überzeugung ist, er habe ein ausgezeichnetes Produkt von technisch neuestem Stand erworben, ist die Welt doch in Ordnung. Wenn er sich nachher auch über die mit der neuen Kamera gemachten Aufnahmen freut... na wunderbar. Und ganz nebenbei hat unsere Wirtschaft funktioniert; ein Wirtschaftsgut hat den Besitzer gewechselt, es sind Umsätze gemacht worden, Mehrwertsteuer ist in die Kasse der Allgemeinheit geflossen. Und die Verkaufsstatistiken für das neue Produkt belegen den Marketingstrategen der Gerätehersteller, daß es sich wieder einmal gelohnt hat, die Entwickler zu (mehr oder weniger sinnvollen) Innovationen anzutreiben.

Nun, lassen wir den Sarkasmus einmal beiseite. Der Drang nach technischen Innovationen, sei er nun wirtschaftlich begründet oder von Bedürfnissen der Zielgruppe forciert, hat uns sicher so manches sinnvolle Hilfsmittel beschert. Der Autofokus beispielsweise, hat auch bei den Profimaschinen lange Einzug gehalten. Wer nutzt nicht zumindest die Bequemlichkeiten der Zeitautomatik, über die fast jede Kamera verfügt?! Na ja, und wenn es mal Schnellschüsse sein sollen, bei denen ich mich nicht mit dem Nachführen der Belichtungswerte aufhalten kann, dann tut die gut 25 Jahre alte Blendenautomatik ganz gute Dienste (hatte ich schon meine Liebe zur XD-7 erwähnt?).

Sicher können Zeit- bzw. Blendenautomatik oder sogar Programme, bei denen ja Verschlußzeit und Blende in bestimmten Abhängigkeiten gesteuert werden, durchaus hilfreich sein. Doch leider werden diese Automatismen gerade von Einsteigern oft falsch eingeschätzt, manchmal mit der enttäuschten Schlußfolgerung: "Datt Ding is viel zu kompliziert, ich krich datt nich so richtig hin". Keine Automatik, kein Programm, kein Autofokus garantiert ein gutes Bild was ist eigentlich ein gutes Bild?).

Ein gutes Bild entsteht nicht in der Kamera, es entsteht eine handbreit dahinter (auch das werden wir noch in Frage ziehen...). Jede Automatik will verstanden werden. Wenn ich mich bei Nacht an den Rand des Grand Canyon stelle und den Finger sanft auf den Auslöser der Vollautomatischen lege, dann wird die Programmautomatik höflicherweise den Blitz mit Leitzahl 12 zuschalten, aber... ?

Und wenn ich am sommerlichen Nachmittag meine Liebste im Gegenlicht aufnehmen möchte, dann wird mir die Programmautomatik wohl keinen Blitz gönnen, ist doch hell genug, oder? Und wieso ist eigentlich das Sport-Programm für abendliche Landschaftsaufnahmen nicht die erste Wahl... ?

Nun, für engagierte Amateure unter den Lesern sind diese drei Beispiele sicher kalter Kaffee. Doch der eine oder andere Einsteiger oder gar Neuinteressent, der auch nur über eines dieser Beispiele gestolpert ist, möge sich ermutigt fühlen, sich doch einmal tiefer mit den Grundlagen der Fotografie bzw. der Bildgestaltung auseinanderzusetzen.

Jede Automatik will verstanden werden.

(Der Einfachheit halber fasse ich fortan die Begriffe Zeit-/Blendenautomatik, Programm und Autofokus global unter dem Begriff Automatik zusammen)

Um eine Automatik sinnvoll nutzen zu können, muß ich wissen, was sie tut, und ich muß ihre Grenzen kennen. Ich muß auch wissen, wo sie sich "irren" kann und mir ungeeignete Ergebnisse liefert. Wie war das nun mit dem Blitzen am Grand Canyon? Ok, selbst dem blutigsten Laien dürfte klar sein, daß kein handelsübliches Blitzgerät in der Lage wäre, den Grand Canyon aufzuhellen. Doch die Automatik merkt nicht zwangsläufig etwas von der Hoffnungslosigkeit ihres Vorhabens.

Wie sieht es mit dem zweiten Beispiel aus? Die Nachmittagssonne hellt die Umgebung gut auf, doch im Gegenlicht ist das Gesicht unseres Models bedeutend dunkler als die Umgebung. Auch wenn unser Auge das Gesicht noch gut erkennt, der eingelegte Film kommt mit dem "Helligkeitsunterschied" nicht zurecht. Die Automatik stellt nun eine Belichtung ein, die so "mittelmäßig" paßt und das Gesicht wird viel zu dunkel. Ein Aufhellblitz wäre hier eine der vielen Möglichkeiten, die helfen würden.

Das dritte Beispiel: Sport-Programm für die Landschaftsaufnahme am Abend. Na ja, das klappt schon so halbwegs. Ein Sport-Programm tendiert jedoch dazu, kurze Verschlußzeiten zu wählen und bei schwachem Licht eher die Blende weiter zu öffnen, bevor es zu längeren Verschlußzeiten greift. Bei Landschaftsaufnahmen möchte ich jedoch eher umgekehrt vorgehen, also eine kleine Blendenöffnung für möglichst weite Schärfentiefe und höhere Abbildungsqualität wählen. Die Verschlußzeit kann ruhig etwas länger werden, vielleicht kann die Kamera sogar irgendwo aufgestützt werden...Das Sport-Programm funktioniert hier zwar so lala, aber es ist halt nicht die erste Wahl. Soweit zu unseren drei Beispielen.

Sicher, lieber Amateur oder gar Profi, die Erklärungen sind sehr kompakt, doch ich habe sie bewußt so einfach gehalten, denn allein das Thema Aufhellen und Blitzen bietet schon genug Stoff, um sich in einer Diplomarbeit damit auseinanderzusetzen. Doch gerade dem interessierten Einsteiger sollte hier klargeworden sein, dass kein Automatismus zwangsläufig gute Bilder liefert.Wer auf die Kamera vertraut, die "alles von alleine" kann, wird bestimmt enttäuscht werden. Genau dies sollte der Neuling beim Kauf einer ersten Grundausstattung im Sinn haben, gerade wenn vielleicht der smarte Verkäufer mit sensationellen Zahlenwerten und tollen Schlagworten herumjongliert.

Wieviel Automatik braucht der Mensch denn nun?

Diese provokante Eingangsfrage läßt sich leider nicht pauschal beantworten. Jede Automatik - Belichtungsautomatik sowie Autofokus - kann mir Arbeit abnehmen, doch um sie gezielt einsetzen zu können, muß ich wissen, WAS sie tut.

Wer sich mit den fotografischen Grundlagen nicht großartig auseinandersetzen will und einfach nur im Urlaub ein paar nette Bilder knipsen möchte, dem kann eine Automatik durchaus helfen, seinem Ziel etwas näher zu kommen und ich möchte ihm die Automatik hier gar nicht vergraulen.

Doch er möge bitte bitte vorher das Kamerahandbuch lesen, sonst gibt's doch noch Enttäuschungen. Doch dem Einsteiger, der beabsichtigt, sich tiefergehend mit der Fotografie auseinanderzusetzen, dem sei empfohlen, sich nicht von spektakulären Zahlenschlachten blenden zu lassen. Eine wertig verarbeitete Kamera mit einem guten Objektiv (man konsultiere Fachzeitschriften, die Erfahrungen anderer Fotografen oder Forenbeiträge) sollte einem Allround-Plastik-Programmwunder vorgezogen werden. Vielleicht ist sogar eine gute gebrauchte manuell zu fokussierende Kamera zusammen mit einem oder gar zwei zusätzlichen Objektiven der ideale Einstieg (z.B. für Schüler mit schmalem Budget), selbst wenn diese dann irgendwann einmal als "meine erste Kamera" in der Vitrine steht. Wer sagt, dass unbedingt ein Zoom mit gigantischem Brennweitenbereich zum Einsatz kommen muß? Gut ausgesuchte Festbrennweiten können hier DIE Wahl sein.

-> Siehe auch den Beitrag
"Festbrennweiten oder Zoomobjektive?" von Stephan in diesem Forum.

Die Arbeit ohne Automatik und nur mit Festbrennweite ist eine hervorragende Schulung. Wer sich auf diese Weise mit dem Fotografieren auseinandersetzt, wird sehr viel über die technische und die gestalterische Seite der Fotografie lernen. Fachbücher, Beiträge in Fachzeitschriften und, wenn man so weit gehen will und kann, Seminare können hier unterstützend wirken. Und wer sich über diesen Weg eine Grundlage gelegt hat, der wird später auch zielgerichtet die jeweils passende Automatik zuschalten können, um sich in bestimmten Situationen Arbeit abnehmen zu lassen, z.B. um sich auf bewegte Motive zu konzentrieren. Und er wird verstanden haben, wie die Automatik ihm dienen kann, während er die Kreativität selbst in der Hand behält. Doch was ist eigentlich ein gutes Bild? Und warum fotografieren wir überhaupt? Mit diesen Dingen möchte ich mich in weiteren Beiträgen auseinandersetzen.

© by Mick

Dieser Beitrag wurde uns freundlicher Weise von unserem User Mick zur Verfügung gestellt. Danke!



 
Frank
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